WIESBADEN - Detektive sind eigenbrötlerisch und eine Katastrophe in zwischenmenschlichen Beziehungen; sie agieren analytisch und ermitteln gekonnt im Verborgenen. Charlie Wollinger ist von alledem das Gegenteil: Der Wiesbadener Gitarrist ist eine Szene-Größe und lässt sich von einem beklauten Kollegen gegen ein Honorar von ein paar Flaschen Whiskey spontan dazu breitschlagen, sich auf die Suche nach dessen Instrument zu machen. Natürlich fällt er auf, eckt an – und bei der ersten Leiche merkt er, dass die Sache doch eine Nummer zu groß für ihn ist. Wollinger gibt an seinen Gitarrenschüler, den Polizisten Henry Sikorski, ab.
Leicht schrullig
Und ist doch kurz darauf wieder im Boot, als ihn die Freundin des Ermordeten um Hilfe anfleht. Sie erinnert ihn in rührender Weise an ein Höhlenkäuzchen… Seltsamer Bewegrund? Mitnichten – er passt bestens zum leicht schrulligen Charlie Wollinger und seinem Alter Ego Tom Woll. Der hat zwar bislang in keinem Mordfall ermittelt, ist dafür aber seit Jahrzehnten als erfolgreicher Gitarrist berühmt-berüchtigt (nicht nur in Wiesbaden, er hat auch schon Eros Ramazotti und Pony Poindexter im Studio unterstützt), war Mitbegründer der legendären Cotton Club Band, spielte in verschiedenen Bands und hat bislang elf CDs veröffentlicht.
Mit „Wiesbaden Blues“ hat der gebürtige Saarbrücker nun seinen ersten Krimi geschrieben und ihn im „Wohnzimmer“ im Erdgeschoss der Wartburg, in der er in der Vergangenheit so manchen Gig absolvierte, seinen zahlreich erschienenen Weggefährten vorgestellt. Die aufschlussreiche Information vorab, dass der Roman seine autobiografischen Bezüge nicht nur hinsichtlich des Protagonisten kaum verleugnen könne, sondern auch 80 Prozent des übrigen Personals real seien (wenngleich mit geänderten Namen), sorgte für Hellhörigkeit. Der potenzielle Wiedererkennungswert war aber nur ein Seiteneffekt der sympathischen Lesung, die mit Musikeinlagen gespickt war, darunter die Ukulele-Version des Zither-Themas aus „Der dritte Mann“.
„Wiesbaden besteht nicht nur aus Prachtbauten, Wilhelmstraße und Kurpark“, hieß es gleich zu Beginn ebenso bedeutungsschwanger wie zutreffend. „Auch hier existiert eine Art Halbwelt, ein Milieu, das nicht jedem zugänglich, aber für viele sehr real und reizvoll ist.“ Eine ansprechende Vorlage für einen Roman mit hohem Unterhaltungspotenzial – in erster Linie natürlich für Wiesbadener, denen Tom Woll ein Begriff ist.
Er erzählt geradlinig und offenherzig, lässt sich ausführlich und eindeutig über das Sexleben seines Detektivs aus, schimpft und flucht auf miesepetrige Mitmenschen und ebenso arrogante wie talentfreie Kronberger Millionärssöhnchen, und offenbart bei alledem äußerst pointierten Sprachwitz.
Lokale Anspielungen
Die amüsante Erzählung inklusive zahlreicher lokaler Anspielungen (sogar diese Tageszeitung findet Erwähnung) kommt beim Publikum bestens an, sodass der Plot Nebensache ist. „Meine ausdrückliche Intention ist es, Leserinnen und Leser zum Schmunzeln zu animieren“, sagt Woll in seinem Nachwort – das Vorhaben ist ihm bei der Buchvorstellung bestens geglückt.